Hallo -
zunächst ist anzumerken, dass in der römisch-katholischen Kirche mittlerweile gilt:
Ohne ärztliche bzw. psychologische Behandlung gibt es auch keinen Exorzismus.
Auch aufgrund der engeren Verzahnung zwischen Humanwissenschaften und Theologie gibt es Bestrebungen, mittels einer deprekativen „Liturgie zur Befreiung vom Bösen“ den imprekativen Exorzismus zu ersetzen.
Denn:
Zitat
Zwei Grundformen des Exorzismus werden in der kirchlichen Überlieferung unterschieden:
Der deprekative (im Namen Jesu um die Erfahrung der Erlösung vom Bösen bitten und beten) und der irnprekative (die Beschwörung, der Befehl an den Teufel im Namen Jesu auszufahren) Exorzismus.
Die seit dem Mittelalter in der Westkirche Nordeuropas anzutreffende imprekative Form ist … theologisch wie psychologisch unvertretbar.
Quelle:
http://www.freidok.uni-freiburg.de/vollt...esessenheit.pdf
Indes gab und gibt es in der römisch-katholischen Kirche natürlich auch gegenläufige Bemühungen, welche eine verstärkte imprekative Exorzismuspraxis einfordern.
Als Beispiel für interkulturelle Fragestellungen zum Thema der sogenannten „Besessenheit“ könnte u. a. auch dienen:
Wiencke, Markus
Wahnsinn als Besessenheit
Der Umgang mit psychisch Kranke in spiritistischen Zentren in Brasilien
IKO – Verlag für interkulturelle Kommunikation
2., überarbeitete Auflage Frankfurt am Main London, 2007
Indes lassen sich die dort gemachten Erfahrungen nicht 1:1 auf das kulturelle Umfeld etwa der Schweiz, Österreichs oder Deutschlands übertragen.
Nochmals zum Thema Exorzismus und römisch-katholische Kirche – und zwar anhand folgender Situation, deren Augenzeuge ich 1990 war:
In eine Kirche kam ein Mann. (Es fand zu dieser Zeit keine liturgische Handlung statt, nur wenige Personen waren in stiller Versenkung anwesend, ich saß schweigend und stumm in der hintersten Bank.)
Plötzlich rannte er auf den Altar zu, bespuckte ihn und stieß unter gellenden Schreien eine Marienstatue um.
Jemand wollte die Polizei rufen – der herbeigekommene Pfarrer indes machte eine verneinende Geste und ging auf den Schreienden zu.
Es gelang dem Priester, jenen Mann zu beruhigen. Dezent wurde ein Arzt gerufen.
Da war nichts von „Teufel“, „Besessenheit“ usw. zu vernehmen.
Kurz: Es war so, wie es m. E. heutzutage in unseren Breitengraden sein muss bzw. sein sollte.
Übrigens:
Im Anhang wird u. a. noch ein kurzer LThK-Auszug zum Stichwort „Exorzismus“ zitiert.
Mit freundlichen Grüßen
stummer
Anhang
Zitat
… Der CIC formuliert in c. 1172, daß der Exorzismus nur nach ausdrücklicher Genehmigung des Ortsordinarius (§ 1) durch einen Priester, der sich durch Frömmigkeit, Klugheit und unbescholtenen Lebenswandel auszeichnet, vorgenommen werden darf (§ 2).
Der Hinweis auf Besessenheit (vgl. c. 1151 § 1 CIC/1917) ist unterblieben .
Voraussetzung für die Anwendung des Exorzismus ist eine vorausgehende Prüfung, bei der auch alle Möglichkeiten von Medizin und Psychiatrie auszuschöpfen sind. Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Höffner, hat am 28.4.1978 erklärt, daß bei Anwendung des Exorzismus eine medizinische Behandlung nicht unterbrochen werden darf und der Exorzismus nicht zu vollziehen ist, wenn Angehörige die medizinische Behandlung ablehnen .
…
[ Heinemann, Heribert:
Artikel „Exorzismus V. Kirchenrechtlich“
in:
Lexikon für Theologie und Kirche (LThK)
Band 3 Dämon bis Fragmentenstreit
Verlag Herder Freiburg Basel Wien 1995, 2006;
(Sonderausgabe 2006 der 3. Auflage 1993 – 2001);
Spalte 1128
Die Absatzformatierung wurde von mir abgeändert; die Hervorhebungen in roter Schrift stammen von mir.
Die Hinweiszeichen des Originals wurden nicht angeführt, die Abkürzungen - mit Ausnahme des CIC und c. - indes ausgeschrieben und die alte Rechtschreibung des Originals wurde beibehalten. ]
Und:
Zitat
… Befreiung vom Bösen eröffnet aus Gnade neues Leben, läßt sich aber nicht durch Exorzismus (zum Beispiel Geisterbeschwörung) magisch erzwingen. –
Die seit dem Mittelalter in der Westkirche anzutreffende imprekative Form ist theologisch und psychologisch unvertretbar, ebenso das insistierende Befragen nach den Namen der sogenannten Teufel und Dämonen.
Doch faktisch Böses darf aus theologischen und psychotherapeutischen Gründen nicht verdrängt, sondern muß an- und ausgesprochen werden. … Jeder liturgischen Verdeutlichung der Befreiung vom Bösen muß eine pastoral-psychologische Beratung und die Kooperation mit Psychiatern vorausgehen. Pastoralpsychologisch hilfreich kann es sein, einem Menschen im Sinne eines „Bene-dicere“ Gutes, das heißt unser Erlöstsein vom Bösen zuzusprechen.
Die zur Zeit in der katholischen Kirche diskutierte „Liturgie zur Befreiung vom Bösen“ stellt eine außerordentliche Form des Umgangs mit dem Bösen dar, die niemals zwingend geboten ist und der Zustimmung des Bischofs bedarf.
……
[ Pompey, Heinrich:
Artikel „Exorzismus VI. Pastoral“
in:
Lexikon für Theologie und Kirche (LThK)
Band 3 Dämon bis Fragmentenstreit
Verlag Herder Freiburg Basel Wien 1995, 2006;
(Sonderausgabe 2006 der 3. Auflage 1993 – 2001);
Spalte 1128 f.
Die Absatzformatierung wurde von mir abgeändert; die Hinweiszeichen des Originals wurden nicht angeführt.
Die Abkürzungen wurden indes ausgeschrieben und die alte Rechtschreibung des Originals wurde beibehalten. ]
In diesem Zusammenhang sei noch ein kleiner Gesprächsauszug erwähnt ( P = katholischer Pfarrer, s = stummer, damals noch im Vorschulalter, in meiner Familie war und ist vom „Teufel“ übrigens nie die Rede, aber damals hatte ich etwas von anderen aufgeschnappt ):
…
s: „Wo isch der Tuifi …?“
P: „Warum frågsch, wous håschn ång´stellt, Tonerle?“
s: „.. jo mei … heit nix …moan i … åber: wous isch mitm Tuifi?“
P: „Du glaub´sch do ån insern Herg..tt?“
s: „Jo freili!“
P: „Nåchert brauchsch an Tuifi ned furchtn!“
s: „A sou isch deis, Pfiat eahna G..tt Herr Pfa …”
P: „Momenterl, no ebbs: Wånsch ebbs ausg´fressn håsch, nåchert schiabs ned am Tuifi in´d Schuach – und inserm Herrg..tt natürli erscht recht ned …“
Man kann die römisch-katholische Sichtweise natürlich auch so skizzieren bzw. klarstellen:
Zitat
Zu einem verselbständigten Teufelsglauben oder einer Dämonen-Furcht besteht kein Anlaß. Der Teufel ist auch nie ein Grund zur Entschuldigung für eine sich selbst verfehlende menschliche Freiheit, weil er nicht in die personale und ethische Selbständigkeit des Menschen eindringen kann. Der Mensch muß sich vielmehr vor sich selbst hüten, daß er die ihm durch Christus geschenkte Freiheit und damit die Herrschaft über sich selbst im Heiligen Geist nicht verliert (vgl. Gal 5,13-26).
[ Müller, Gerhard Ludwig:
Katholische Dogmatik
Für Studium und Praxis der Theologie
Herder Verlag Freiburg Basel Wien
2. Auflage der Sonderausgabe
(7. Gesamtauflage)
Freiburg i. Br. 1995, 2005;
S. 222 ]
Mit freundlichen Grüßen
stummer